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Autor Thema: NETZ-Notizen  (Gelesen 12835 mal)
admin
Gast
« am: September 04, 2007, 05:35:04 pm »

NETZ - NOTIZEN
hier erscheinen in loser Folge Notizen die während der Recherchen für den Film angefertigt wurden, Fundstücke bei der täglichen Zeitungslektüre, oder Gedankensplitter die in weitesten Sinne zum Thema und Sujet von „Das Netz“ gehören.
Viel Spass
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1

VORTRAG von Lutz Dammbeck
ORT: Maxim Gorki Theater Berlin
ZEIT: 2.Juni 2007
ANLASS: Veranstaltung der Internationalen Heiner Müller Gesellschaft Berlin
und Mühely Alapitvány Budapest/BIPOLAR


Vielen Dank für die freundliche Einladung, hier einige Gedanken vortragen zu dürfen, die ich
unter den Titel:

„Kunst und Kolonialismus“

stellen möchte. Beginnen möchte ich mit einer Frage:
„Was hat Kunst mit mongolischen Wüstenrennmäusen zu tun?“

Dass sich mir einmal diese Frage stellen würde, war im Jahr 2001 noch nicht klar, als ich mit der Arbeit an meinem Film  „Das Netz“ begann. Zunächst wollte ich hier den Affairen nachspüren, die moderne Kunst mit Computern und neuen Technologien in den 1960er Jahren eingegangen waren. Begriffe wie Loop, Feedbackschleife, System, Simulation oder Kommunikation verwendeten ja nicht nur Kybernetiker und Systemtheoretiker, sondern gehörten auch zum Programm einer in diesen Jahren revoltierenden Avantgarde die alle Grenzen zwischen Kunst und Leben auflösen wollte: CHANGE NOW!
Pop- und Op-Art, Mixed Media, Happenings, Künstler wie John Cage, Nam June Paik oder Andy Warhol, Bands wie Grateful Dead und Velvet Underground - das war ein Cocktail aus Revolte, Rock und Pop, der mich faszinierte. Die Botschaft war: alles ist möglich, Realität ist beliebig veränderbar. Du bist, was du sein willst!

Bei näherer Betrachtung schien mir dieser Mix aber nur Teil eines viel komplexeren „Meta-Systems“ zu sein, das zwar Kunst und Computer mit einschloß, aber noch viel mehr umfaßte.
Zunächst war ich von einer zumindest gleichberechtigten Rolle der Kunst im Verhältnis zur Wissenschaft und den neuen Technologien ausgegangen. Doch je länger ich recherchierte, desto blasser wurde das Bild von einer Multimedia-Moderne mit der Aura des kritischen „Anderen“. Mir schien, dass diese Kunst nicht Störgeräusch, sondern eher Systemverstärker gewesen war, und das lange bevor „aus der Gegenkultur die Kultur wurde“, wie es Stewart Brand in „Das Netz“ formulierte.
So begann ich mich mehr und mehr für die Vordenker und Konstrukteure dieses wissenschaftlich-technisch basierten „Meta-Systems“ zu interessieren - und für deren Auftraggeber.
Meine Recherche führte mich so zu den Anfängen der Kybernetik, der Systemtheorie, der Bionik, des parallelen Rechnens, der künstlichen Intelligenz, dem Bau von Computern und dem Konstruktivismus als Denktradition.

Bald stiess ich auch auf die legendären Macy-Konferenzen, auf denen zwischen 1946 und 1953 Elitewissenschaftler, Sciencemanager und Beamte verschiedener amerikanischer Behörden (gelegentlich auch der CIA) teilnahmen, und die Grundrisse für eine symbolische Welt als „offenes System“ entwickelten.

Im Rückblick erscheinen die Macy-Konferenzen als der Ort, wo »ein Theorie-Werden im Vollzug beobachtet werden konnte«. Die drei entscheidenden Bausteine für dieses Theorie-Werden stammten allesamt aus den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts: Warren McCullochs A Logical Calculus of the Ideas Immanent in Nervous Activity, Norbert Wieners Behavior, Purpose, and Teleology und Claude Shannons Mathematical Theory of Communication.
Sie lieferten die theoretischen Anstöße, aus denen die Teilnehmer der Macy-Konferenzen eine universale Theorie der Regulation, Steuerung und Kontrolle zu entwickeln suchten. Diese Theorie beanspruchte, für Lebewesen ebenso wie für Maschinen, für ökonomische wie für psychische Prozesse und für soziologische ebenso wie für ästhetische Phänomene zu gelten.
Der Mensch erschien nun als ein besonderer Fall der Informationsmaschine, und die Informationsmaschine als ein besonderer Fall des Menschen. Mit Hilfe der von Norbert Wiener entwickelten Kybernetik setzte sich eine neue Denkweise durch, die eng mit der Entwicklung von Waffenlenk- und -kontrollsystemen einherging, wobei sich die Unterschiede zwischen Belebtem und Unbelebtem - zwischen Tier, Mensch und Maschine - verwischten.

Mich interessierte an den Macy-Konferenzen aber nicht nur der interdisziplinäre Ansatz im Geist des Wiener Kreises, sondern auch die Tatsache, dass zahlreiche Teilnehmer der Konferenzen schon wenig später wichtige Schlüsselpositionen bei der Entwicklung von Computern, beim Bau von Waffen, in der Verhaltensforschung oder in der Soziologie besetzten: Jerome Wiesner als Direktor des MIT und Mitbegründer des Center for Advanced Visual Studies, J. C. R. Licklider in der ARPA und am MIT, John von Neumann beim »Manhattan-Projekt«, der Gestalt- und Sozialpsychologe Kurt Lewin bei der Entwicklung neuer Modelle für »Führung als Gestaltung komplexer Systeme« oder der Soziologe Paul Lazarsfeldt in der angewandten Sozialforschung.

Spannend fand ich aber nicht nur die zu Fragen der Kybernetik abgehaltenen ersten Konferenzen, sondern auch die späteren Treffen, die sich dem Einsatz der Psychiatrie oder der Wirkung von LSD und Psychopharmaka im Zeichen einer Doktrin des »Mental Health Movement« widmeten. Das Ziel war die Heilung einer durch Faschismus und Totalitarismus „kranken“ Welt. Damit einher ging die dynamische Suche nach einem immerwährenden Zustand von Harmonie und einer neuen Ordnung für diese Welt.
Von Margaret Mead und Larry Frank, zwei der Säulen der Macy-Konferenzen, ist durch Steve Josuah Heims in seinem Buch „CONSTRUCTING A SOCIAL SCIENCE FOR POSTWAR AMERICA. THE CYBERNETICS GROUP“ im Zusammenhang mit einer 1947 in London abgehaltenen Konferenz zum Thema „Weltgesundheit“ folgendes Zitat überliefert:
»Das Ziel von geistiger und seelischer Gesundheit erweitert sich, von der Vorsorge für die Entwicklung von gesunden Persönlichkeiten hin zu den größeren Zielen von einer gesunden Gesellschaft. Das Konzept von geistiger Gesundheit steht im engen Zusammenhang mit einer neuen Weltordnung und Weltgesellschaft.“

Unstrittig unter den Teilnehmern der Konferenzen war, dass die USA das Modell dieser neuen Weltordnung und Weltgesellschaft sein sollten: das kommende Jahrhundert würde das einer »Pax Americana« sein, einer »One World« unter Führung der USA.
(...)
den vollständigen Text finden Sie bei http://www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26380/1.html

2
Benjamin R.Barber, in: Die globale Infantilisierung DER TAGESSPIEGEL
Sonntag 9.September 2001
Wir können der Globalisierung nicht mehr entrinnen. Der Kapitalismus ist aus der „institutionellen Kiste“, in die er eingesperrt war (soziale Marktwirtschaft), entwichen. Postmoderner Kapitalismus, „globalisiert“ auf der Grundlage von neuen Informations- und Kommunikationstechnologien, löst gleich alles mit auf, was vorher die Kiste ausgemacht hat. Globalisierung heißt auch: die Schieflage zwischen Privatinteressen und Gemeinwohl hat sich vergrößert. Neo-Liberalismus oder Markt-Fundalismus untergräbt die Demokratie, indem sie staatliche Macht angreift.
„Der Markt kann alles besser, was der Staat vorher machte“.
Die Abschaffung der Staaten erleichtert die Globalisierung. Privatisierung wird das ideologische Werkzeug der global operierenden Unternehmen, Banken und Konzerne innerhalb von WTO und IWF. Das sind politische Organisationen, die die Autorität des Staates untergraben.

3
Natan Sznaider: Wem gehört das Jüdische Museum ? TAZ 8./9.September 2001
Globalisierung ist nicht nur eine Machtstrategie finsterer Neoliberaler, sondern auch ein neues Wertesystem...zur Kosmopolitisierung des Raums kommt nun auch Kosmopolitisierung der historischen Zeit...das Jüdische Museum ist nicht nur der „eigenen“ Geschichte sondern Teil einer sich aus dem nationalen Container lösenden Erinnerung. Kann, ja darf es ein globales Gedächtnis überhaupt geben?
Ist der Begriff nicht integraler Bestandteil des geschlossenen und ethnischen Verständnisses, das Menschen von sich selbst haben ? Kann der Holocaust, in westlichen Staaten zum moralischen Maßstab der Unterscheidung zwischen „Gut“ und „Böse“ geworden, die Basis einer „kosmopolitischen“ Globalkultur sein?
Der „Holocaust“ als neue „Leitkultur“? Auch Kultur kann nicht mehr als ein geschlossener nationaler Raum verstanden werden. Transnationale Medien, Massenkultur wie Filme und Musik lösen den nationalen Rahmen auf, ohne diesen verlassen zu müssen. Global verfügbare Normen finden ein immer größeres Publikum und werden dadurch demokratisiert,... die Akzeptanz dieser Normen ist zu einer notwendigen Bedingung für die Teilnahme an der Globalisierung geworden. Es ist kein Zufall, dass die Erinnerung an den Holocaust eine immer wichtigere Rolle in einem Nationen übergreifenden globalen Kontext spielt.
Juden stellen für viele die wichtigsten Träger der kosmopolitischen Erinnerung dar. Deswegen ist der Holocaust als das bestimmende Unglück für Juden so wichtig, weil er der ultimative Versuch war, den Kosmopolitismus auszulöschen.  Der Holocaust als Erinnerungsemblem des 20.Jahrhunderts ist zum Symbol der moralischen Globalisierung geworden.

4
Dienstag 2.März 2004. Gestern im österreichischen Fernsehen
Pressekonferenz von ehemaligen Mitgliedern der Mühl-Kommune im Friedrichshof. Das MAK in Wien will eine große Mühl-Ausstellung machen, und „einen der größten lebenden Künstler Österreichs ehren“. Die ehemaligen Kommunarden protestieren, sie seien als Kinder von Mühl im Friedrichshof mißbraucht worden. Seelisch und sexuell. In einer Art Gulag der Moderne. „Verbrechen dürfen nicht als Kunst ausgestellt werden“.
Der Direktor des MAK und Weggefährte Mühls erklärt: „Bei allem Respekt und Verständnis für Emotionen - hier ist das Thema die Kunst. Wir repräsentieren das Werk eines der wichtigsten Künstler der Gegenwart.“
Was ist mit der Pflicht zum Tabubruch, zur Grenzüberschreitung, ohne die Mühl´s Kunst nicht existieren und Sinn machen würde? Die Gesichter der ehemaligen Kommunarden sind nicht sexy oder interessant, sie und ihr Anliegen stören.
Ich erinnere mich an den Film „Brandzeichen“, 1999 zur Dokfilmwoche in Leipzig.
Kinder, geboren in den SS-Zuchtanstalten „Lebensborn“, erzählen, wie sie versucht haben herauszufinden, wer ihre wirklichen Eltern sind.
Die Unschuld des „Materials“, das Subjekt werden möchte.

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6. April, beim Scrollen wiedergefunden:
Claude Shannon was quoted in Omni (August 1987) as saying,
"I visualize a time when we will be to robots what dogs are to humans, and I'm rooting for the machines." zitiert nach: INDUSTRIAL SOCIETY AND ITS FUTURE

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17.März Dresden, Gedanken beim Fahrradfahren
Mythos - Tradition - Grenzen. Natürlich braucht eine destruktionistische Moderne den Mythos, die Tradition und Grenzen. Was soll sie denn sonst dekonstruieren, auflösen, zerstören? Etwas Eigenes, etwas Neues, eigene Werte, die sie dann dekonstruieren könnte, erschafft sie nicht. Statt dessen Abstraktionen, um eine gefährliche Natur und den mit ihr anscheinend unauflösbar verbundenen Mythos zu bändigen. Zunehmend muß dieser Mythos, müssen Grenzen und Werte aber simuliert werden, denn alles scheint schon weitgehend dekonstruiert und aufgelöst. Fakes und potjomkinsche Dörfer müssen her, damit sich dieses System der Moderne daran abarbeiten kann. Ein System wie eine Maschine, die sich nicht mehr anhalten lässt, und immer weiter voran arbeiten muss. Was bleibt ist die unterschwellige Angst vor der Rückkehr des Mythos.
(Zitat Harun Farocki in der FAZ: „Anfang der siebziger Jahre, als das mit diesem kleinen marxistischen Welttbild zu Ende ging, bin ich noch relativ viel zu Klaus Heinrich gelaufen, und da hatten wir einen Satz gelernt: Keine Re-Mythisierung. Das war die Hauptsache. Und das finde ich immer noch geltend. Man darf sicher gegen einige modernistische Prinzipien verstoßen oder sie korrigieren und zurücknehmen, aber eine Re-Mythisierung starten, das Projekt der Aufklärung dadurch aufgeben, daß man wieder neue Mythen schafft, das ist ganz daneben.“
Was aber, wenn die erste Natur stärker ist, als die ihr von Technologie,Rationalismus und Aufklärung auferlegten Zurichtungen? Wenn der Mythos einfach da ist, und garnicht erst geschaffen, sondern nur zugelassen (oder unterdrückt) werden kann?

7
Mittwoch, 14.April 2004. Wiedergefunden:
You can´t eat the cake and have it too. (T.K.)

8
Am gleichen Tag im Kulturteil der TAZ, Seite 15
„Im Griff des Kunstmarkts“ von Isabelle Graw
Die Autorin berichtet von ihrer Reise nach New York zur Eröffnung der New Yorker Messe für Gegenwartskunst „Armory Show“ in den berühmten Armory Halls.
Sie ist Kunstkritikerin, und maßgebliche Propagandistin von Konzept- und kontextualisierter Kunst im Umfeld der Zeitschrift „Texte zur Kritik“. Eingeleitet wird ihr Text mit Verweisen auf Adorno/Horkheimer und deren
Diagnose in „Dialektik der Aufklärung“: Autonomie und Markt der Kunst bilden eine Einheit. Zuvor stellt die Autorin fest: „Die Ökonomisierung sämtlicher Lebensbereiche schreitet unaufhörlich voran - das weiß man. Augenblicklich sieht es aber wohl so aus, als würde der letzte Rest von künstlerischem Freiraum, den die Pop Art noch zur künstlerischen Gestaltung des Zusammenhangs nutzen konnte, dem sie ausgeliefert ist, von der Logik des Marktes aufgesogen.
Was Künstler mit ihrer Arbeit tun oder lassen, ist auf dem Kunstmarkt vollständig irrelevant geworden.“
Die Autorin beobachtet erstaunt bei der Eröffnung der Messe, zu der sie sich illegal einschleichen mußte, weil die Einladungen nur an Verkäufer, sprich Galerien und Käufer, sprich Sammler ging, dass Kunst inzwischen wie andere Luxusgüter  gehandelt und konsumiert wird.
Sie beobachtet einen neuen Typ des Sammlers, der sich vom Typus des „Connaisseurs“ radikal unterscheidet, weil er keine Kennerschaft mehr anstrebe.
Statt dessen lege er ein Kaufverhalten an den Tag, das nach demselben Muster erfolgt, wie der Erwerb eines Markenartikels, dessen Marke für sich spricht und von dem man nichts weiter wissen will.
Eine Galeriemitarbeiterin vertraut ihr an, man dürfe auf keinen Fall etwas Inhaltliches über die in der Messekoje angebotenen Werke sagen - das verderbe das Geschäft. Es müsse der Hinweis genügen, der Künstler sei „jung“, das sei dem Verkauf förderlich.
Die Autorin findet, sie hätte sich ebenso auf einer Boots- Champagner oder Schmuckmesse befinden können. Die traditionelle, also ihre eigene, Vorstellung von Kunst als einer relativ autonomen Sonderspähre lasse sich jedenfalls unter diesen Umständen nicht länger aufrechterhalten.
Obwohl, erinnert sie sich, die Zirkulation von Kunstwerken als reine, von jeglichem Sinn bereinigte Tauschwerte kein neues Phänomen sind. Vielmehr eine Entwicklung, die in den 80er Jahren begann, als der Neue Markt boomte und den Kunstmarkt mit seinem fiktiven Geld aufblies.
Kritiker sind von der Eröffnung der Armory-Show ausgeschlossen.
Auch der in den letzten Jahren selbstverständlich gewordene Künstler, der bereitwillig über seine Arbeit Auskunft gibt, fehlt. Die „Intentionen“ des Künstlers scheinen auf dieser Messe keinen zu interessieren.
Die Autorin erinnert sich wieder an Adorno/Horkheimer, die vom Künstler verlangten, dass er die aus seiner Verwicklung in den Markt resultuierenden Widersprüche nicht übergehen, sondern in seine Arbeit aufnehmen müsse. Nun scheine vom Künstler gefordert, sich auf seine „Kernkompetenz“ zurückzuziehen, für sie die Wiederbelebung eines „konservativen respektive neokonservativen Kunstbegriffs.“ Vorbei scheinen die Zeiten, als, spätestens seit der Konzeptkunst, die durchgesetzte Definition von Kunst die von Kunst als programmatischer Artikulation war.
Die Autorin, selbst Kunstkritikerin, scheint verzweifelt. Wer soll diese Widersprüche jetzt ausfindig machen, wenn nicht die Kritik? Doch die Kritik habe auf die Wertbildungen des Kunstmarkts derzeit keinen unmittelbaren Einfluß. Sie komme schlicht nicht vor, wenn es um Wertbildungen geht. Es sei denn, sie verlege sich auf Promotion.
Bedrückt registriert die Autorin, dass auf dieser wichtigen Messe für Gegenwarts-kunst kein Mensch mehr an Kritik - auch nur im Sinne eines schüchtern vorgetragenen Einwands - interessiert ist. Ein Galerist fragt sie argwöhnisch, ob sie etwa in „intellectual“ sei, damit anscheinend nichts Positives verbindend.
Als kritische Methode unter diesen Bedingungen fällt ihr der investigative Journalismus eines Günter Wallraff ein. Obwohl sie einräumen muß, dass zu den Verhältnissen, in die sie sich hier eingeschlichen hat, sie selbst maßgeblich beigetragen hat. Eine späte Einsicht. Was werden die Konsequenzen sein?
(Was ist die „Kernkompetenz des Künstlers“? Was hilft es, die ökonomischen Zusammenhänge, denen Kunst ausgeliefert ist, nur zu beschreiben? Was hilft das zum Beispiel im Fall der Flick Collection? Flick sammelt am liebsten zeitkritische Kunst, die die Schnittstellen von Kunst, Macht, Philosophie und Politik
beschreibt. Ruhiggestellt wird diese Kunst nun in einem Berliner Museum für
Gegenwartskunst, dessen Direktor und Kurator der Flick-collection die Trennung von Kunst und Politik fordert. Das ergäbe ein Museum für Moderne Kunst als Kunstkirche und aseptischen Raum, der alle Intentionen ausblendet, die den Wert und das Interessante der von Flick gesammelten Kunst eigentlich ausmachen.
Ohne den kritischen Kontext ist diese Kunst ein, nun, fast ein „Nichts“.
Die in Geiselhaft genommen Kunstwerke scheinen als Sklaven und Objekte zur ausschließlichen Wertsteigerung verurteilt. Die Gesetze des Marktes sind offensichtlich stärker als der Wunsch, diesen durch Kritik zu, ja was? zu verändern? zu besänftigen? zu korrigieren? zu beseitigen?

10
Life was better before sliced bread. (Luddites On-Line)

11
„Forms are for use, not to make captives“ (Hazrat Inayat Khan)

12
die tageszeitung 26/27.Juni 2004
Stefan Reinecke/Christian Semler: Schüsse in den Nebel
Der erfundene Feind
Am 2.August 1964 kreuzte der US-amerikanische Zerstörer „Maddox“ vor der Küste Nordvietnams. Nordvietnamesische Torpedoboote griffen die „Maddox“ an - offenbar im Irrglauben, es handele sich um ein südvietnamesisches Schiff. Der US-Zerstörer versenkte den Angreifer, die „Maddox“ hatte nur einen Blechschaden.
Zwei Tage später näherten sich wieder zwei US-Kreuzer der Küste des Golfs von Tonkin. Die US-Schiffe meldeten Angriffe der nordvietnamesischen Seite. Dieser Überfall am 4.August 1964 wurde zum historischen Datum. Die US-Regierung nutzte diese „militärische Provokation“ Nordvietnams zu der berühmten Tonkin-Resolution im Kongress. US-Präsident Johnson konnte fortan, ohne formelle Kriegserklärung, immer mehr Soldaten nach Vietnam schicken.
Den Angriff am 4.August hatte es nie gegeben. Er war eine Fantasie: geboren aus zweideutigen Radarbildern und dem innigen Wunsch, endlich mit der Bombardierung Nordvietnams beginnen zu können.
Der US-Diplomat und Fernostexperte James C.Thomson entwarf 1968 in seiner berühmten Abrechnung „How could Vietnam happen - an autopsy“ ein Psychogramm der Strategen des Vietnamkrieges. Die Planer des Krieges, so Thomson, „haben den internationalen Beziehungen einen neuen missionmarischen Impuls gegeben. Dieser Impuls speist sich erstens aus unserer als unüberwindlich empfundenen militärischen Macht. Zweitens aus unserer technologischen Überlegenheit und drittens aus unserem „Wohlwollen“. Wir haben diesen Strategien zufolge die Möglichkeit und die Pflicht, den Weg der Nationen dieser Erde zu Modernisierung und Stabilität zu erleichtern - unter dem Mantel einer „Pax Americana Technocratica“.

wird fortgesetzt
« Letzte Änderung: April 11, 2008, 05:23:12 pm von admin » Gespeichert
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