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Autor Thema: Der Amerikanische Individualanarchismus - 1  (Gelesen 5375 mal)
admin
Gast
« am: November 22, 2007, 11:48:27 pm »

ANJANA SHRIVASTAVA (Mitarbeit Helmut Hoege)
Der Amerikanische Individualanarchismus - 1

Zur Lage der Detonation - ein Exposé

"Lupus lupi homo est" (alte Rudelweisheit)

1. Die Pornografie des Todes
Über die Opferschau der Druiden: "....sie weihen einen Menschen und
stoßen ihn mit einem Schwertstrich oberhalb des Zwerchfells nieder, und
während des Zusammenbruchs des Opfers, aus der Art des Falles und der
Zuckungen der Glieder, und dazu aus dem Strömen des Blutes wollen sie
die Zukunft erkennen, im Vertrauen auf die alte und vielgepflogene
Beobachtung dieser Vorzeichen." Poseidonios von Apameia (135-51/50 v.
Chr.)   

Die Angst vor dem Volkszorn und Ahnungen von einer öffentlichen
Hinrichtung gingen McVeigh bereits durch den Kopf, als man ihn vor dem
Gerichtsgebäude in Oklahoma erstmalig einer erregten Menschenmenge
vorführte. Dem "Time-Magazine" erzählte er später: "Ich bemerkte, dass
die Menge zu weit abgedrängt war, um mich mit einem Pistolenschuss
bedrohen zu können. Also nahm ich sofort die Bäume und die umliegenden
Gebäuden in Augenschein. Und unwillkürlich schaltete ich einen starren
Panoramablick an, mit dem man einen 1000-Meter-Sicherheitsbereich
überblicken kann. Das einzige, was ich bei Gefahr hätte tun können, war
ein kleiner Sprung zur Seite. Im Grunde genommen wirft man Dich den
Löwen vor".  "Dem Löwen vorgeworfen zu werden" erscheint als eher
archaisches Bild, da die öffentlichen Torturen der Vormoderne doch
längst durch humanistische Methoden der Beweisführung und Bestrafung
ersetzt wurden. Schon die Einführung der Guillotine zielte darauf ab,
unter den Zuschauern keine Sympathie mehr für die Verurteilten aufkommen
zu lassen. Denn die Königsmörder des Ancien Regime wurden stundenlang
gestreckt und gevierteilt und litten oft noch zusätzlich unter der
Überforderung von Henkern und Zugpferden. Die Justiz des 19.
Jahrhunderts wandte sich daher von der körperlichen Bestrafung ab und
widmete sich der Disziplinierung und Überwachung der Gefangenen. 
Mit der Übertragung des Todes des rechtsextremen Terroristen McVeigh
für die Angehörige enstand mitten im blassen bürokratischen Akt wieder ein
Moment von Märtyrertum. Schließlich ist McVeigh ebenfalls ein
Königsmörder, nämlich der Mörder des demokratischen Souveräns in Gestalt
der Bundesbeamten von Oklahoma. Das Volk als Souverän, zumindest wie es
durch die Opfer des Bomben-Attentats von Oklahoma repräsentiert wird,
ist allerdings schwer zu befriedigen. Das Zuschauen befriedigt nur im
Ansatz die Sehnsucht nach der Selbstjustiz des letzten Jahrhunderts.
Besonders in einem Staat wie Oklahoma, im Westen der USA, wo weiße
Männer ihre strittigen Ansprüche auf indianisches Land noch lange unter
sich austragen mussten. 

Diese Rückkehr zum archaischen Schauspiel der Hinrichtung entlastet
die heutigen Gefangenen im Todestrakt jedoch nicht
von der Bürde einer allgegenwärtigen hochmodernen
Überwachungsmaschinerie. In dem Supermax Gefängnis in Colorado wurde
McVeigh 24 Stunden täglich überwacht, davon 20 mit einer Videokamera.
Wenn er schlief, war die Kamera kaum einen Meter von ihm entfernt.
Damit sie funktionierte, musste immer eine Lampe brennen. Die Internetfirma,
die das Spektakel seines Tod für das Internetpublikum verkaufen wollte,
besitzt die Website "voyeur.com", auf der man über 55 Webcams rund um
die Uhr eine Studentinnen-WG beobachten kann. McVeigh hat zugegeben,
sich jeden Monat auf die ihm erlaubte Lieferung von Playboy und Hustler
zu freuen. Die Nacktfotos hingegen, die fremde Frauen ihm aus Orten wie
Tennessee zuschicken, bekommt er nicht ausgehändigt. 


2. Pieta eines Milizen
McVeigh war selbst einmal - zusammen mit  der ganzen amerikanischen
Rechten - Zeuge einer Opferschau gewesen: Nämlich der von Rosemary
Weaver - mit einem Baby im Arm und einer Kugel im Kopf. Im April dieses
Jahres verkaufte der Mann von Rosemary Weaver, der weisse Separatist
Randy Weaver, ein Buch über seine Lebensgeschichte auf einer Waffenmesse
in Lincoln, Nebraska. Das Weaver- Martyrium wollte Timothy McVeigh mit
seinem Attentat im April 1995 in Oklahoma-City rächen. Weaver hatte
einige Jahre zuvor seine Familie nach Idaho, in eine Gebirgsgegend
namens Ruby Ridge, evakuiert und sich dort mit einem ganzen
Waffenarsenal verschanzt. Als das FBI kam, um ihn wegen illegalem
Waffenhandel festzunehmen, starben seine Frau und sein Sohn im
Schußwechsel. Weaver wurde dadurch zu einem Volkshelden der Rechten.
Auf der Waffenmesse überreichte ein Indianer ihm zeremonielle Geschenke.
Der Indianer war der einzige Nicht-Weisse im Saal, er trug ein T-Shirt mit
dem Aufdruck: "Der Geist von Crazy Horse lebt." Weaver sagte zu ihm:
"Ich schätze, wenn man ähnlich wie ich von den Stiefeln der
Bundesregierung getreten wurde, weiß man eben, wie sich das anfühlt."
Auch Weavers Rächer Timothy McVeigh hätte dieses Prädikat "Unter dem
Stiefel der Bundesregierung gelitten zu haben" gerne für sich in
Anspruch genommen. Doch obwohl die amerikanische Öffentlichkeit über die
Belagerung von Ruby Ridge schockiert war, zeigte sie wenig Bereitschaft,
für die Argumente McVeighs in seinem eigenen Fall ein ähnliches
Verständnis aufzubringen. Das Vorgehen des FBI, seit dem Attentat in
Oklahoma solche gewalttätigen Erstürmungen von Waffenburgen wie die bei
Ruby Ridge und Waco, Texas zu vermeiden, hatte die Öffentlichkeit
beschwichtigt.  In einem Punkt aber gab es immer eine seltsame Einigkeit
zwischen McVeigh und der US Regierung. Sowohl der Angeklagte, als auch
die Staatsanwaltschaft bestanden darauf, dass das Attentat von einer
einzigen Person ausgeführt wurde: McVeigh war der Kopf der Aktion, wobei
er seine zwei Komplizen unter massiven Druck setzte. Doch verschiedene
Prozeßbeobachter, von den Verteidigern bis hin zu Angehörigen der Opfer,
haben mehr als genug Anhaltspunkte dafür gefunden, daß hinter diesem
Einzeltäter, der so offensichtlich ein Martyrium für sich sucht, noch
ganz andere an der Tat beteiligte Kreise existieren.  War es blosser
Zufall, dass ein gewisser Richard Snell, der selber einst angeklagt war,
das Gebäude in Oklahoma City 1982 in die Luft jagen zu wollen, genau am
Tag des Attentats von Mc Veigh in Arkansas wegen Mordes hingerichtet
wurde? Hatte der Rechtsextremist Snell nur geprahlt, als er
Racheaktionen am Tag seiner Hinrichtung ankündigte? War McVeigh wirklich
immer nur ein "einsamer Wolf" gewesen?   

Je mehr man über die amerikanische rechte Bewegung weiß, desto weniger
kann man zwischen einem Einsamer Wolf-Szenario und
Verschwörungsszenarien unterscheiden. Die weißen Rassisten haben es im
multiethnischen Amerika aufgegeben, Wählerschichten für sich gewinnen zu
wollen oder öffentliche Ämter anzustreben. Weil sie sich damit von allen
Entscheidungsprozessen ausgeschlossen haben, so behauptet wenigstens
Thomas Grumke in seiner sehr gründlichen Studie über den
"Rechtsextremismus in den USA," bleiben ihnen fast nur terroristische
Gewaltakte als Handlungsmöglichkeit.  Einer der Hauptstrategen der
extremen US-Rechten, das ehemalige Ku-Klux-Klan-Mitglied Louis Beam, hat
dazu eine Strategie entwickelt, die eine Adaptation und Zuspitzung
klandestiner kommunistischer Organisationsmodelle - eine Reihe
untereinander isolierter Zellen unter einem Zentralkommando - darstellt.
Beam sieht für seine Bewegung die Schaffung von lauter "Phantomzellen"
vor, die aus nur einem Mann, ohne eine lenkende Zentralinstanz bestehen
und so aktiv werden sollen. In diesem Konzept eines "führungslosen
Widerstands" nimmt die Rechte zwar ideologischen Einfluss auf
gewaltbereite Männer wie McVeigh, doch beteiligt sie sich nicht direkt
an deren Taten. Auf einer Waffenmesse in Tulsa Oklahoma hatte McVeigh
1994 erstmalig ein Mitglied aus der rechtsradikalen Gruppe "Elohim City"
getroffen. In den Monaten vor dem Attentat besuchte mehrmals McVeigh
diese separatistische Gemeinschaft, mit der auch Richard Snell kurz vor
seinem Tod in Verbindung stand.  Amerikas Waffenmessen sind für die
extreme Rechte ungefähr dass, was Grosstadt Busdepots für die
Prostitution ist: Hier verwirrte, von zu Hause weggelaufene Mädchen, die
zu einer leichten Beute für Zuhälter werden, dort vereinsamte Menschen
wie McVeigh, die sich nur mit Waffen sicher fühlen. Die Liebe zu Waffen
gehört auf intimste Weise zur amerikanischen Tradition. Für viele weisse
Männer, die in den dahinsiechenden agrarischen und industriellen
Regionen der USA leben, besitzen Waffen eine eigene Magie. Sie erweitern
die Macht und Potenz eines Menschen fast ebenso wie das Geld, das die
meisten dieser Männer nicht haben. Timothy McVeigh, zum Beispiel, ist
Enkel eines Bauern aus dem Norden des Bundesstaates New York, der seinen
Hof aufgeben musste. Sein Vater war Arbeiter in einer Autofabrik bei
Buffalo, die ab den frühen neunzigerjahren keine Leute mehr einstellte.
McVeighs Helfer bei der Vorbereitung des Attentats, Terry Nichols, war
ebenfalls ein Bauer, der in den Achtzigerjahren seinen Hof in Michigan
verlor. In diesen Milieus ist die Waffe statt der Farm, das einzige, was
von den Pioniertagen übrig blieb - das letzte, zudem immer mehr
symbolischer werdende Mittel zur Verteidigung und Selbstversorgung. 

Ende des Teil 1

mit freundlicher Genehmigung des Autors
der Text ist erschienen in: "wpp - wölfe partisanen prostituierte"
(Kulturverlag Kadmos, Berlin 2007)



« Letzte Änderung: November 23, 2007, 05:52:17 pm von admin » Gespeichert
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