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Autor Thema: Der Amerikanische Individualanarchismus - 2  (Gelesen 5162 mal)
admin
Gast
« am: November 23, 2007, 12:04:39 am »

ANJANA SHRIVASTAVA: Der Amerikanische Individualanarchismus - 2

In der Person von McVeigh vereinigen sich für die extreme Rechte mehrere
positive Eigenschaften: Er war ein hochdekorierter Soldat, den seine
Kampferfahrungen im Golfkrieg jedoch enttäuscht, wenn nicht
traumatisiert hatten und der anschließend nur noch eine Anstellung als
unterbezahlter Wachmann bei verschiedenen Firmen in Buffalo fand. Wie
ein gefangener Wolf im Zoo drehte er fortan seine nächtlichen Runden auf
Betriebsgeländen - zu deren Sicherheit. Dazu gehörte auch der Zoo von
Buffalo, wo er sich während seiner Arbeit mit einem der Raubtiere näher
anfreundete. Als er anfing, regelmäßig Waffenmessen zu besuchen, war er
schon mit rechtsradikalem Gedankengut vertraut.  Besonders beeinflußt
hat ihn der Roman "Die Turner Tagebücher", den er sich über die Waffen-
und Militärzeitschrift "Soldiers of Fortune" bestellte. Der Autor ist
ein amerikanische Nationalsozialist namens William Pierce. Seinen 1976
veröffentlichten Text betrachtete später das FBI als direkte
Handlungsanleitung für McVeighs Oklahoma-Attentat. Der Roman beginnt
halbwegs realistisch - mit einer Razzia bei Waffenbesitzern. Die
Handlung spielt in der Zukunft: Waffen in Privatbesitz sind inzwischen
streng verboten. Der Romanheld Turner sieht sich nach seiner Entlassung
aus dem Gefängnis gezwungen, in den Untergrund zu gehen, wo er sich
einer rechten, gegen die Regierung kämpfenden Organisation anschließt.
Diese finanziert sich zunächst durch einen tödlichen Überfall auf einen
jüdischen Lebensmittelhändler. Trotz verschiedener Rückschläge gelingt
es ihren autonom agierenden Kampfzellen, sich auszubreiten - konkret:
innerhalb sechs Jahren, erst Los Angeles, dann Washington und
schließlich die ganze Welt zu beherrschen. Ein schwindelerregendes
Szenario für einen jungen Waffennarren wie McVeigh. Als Kind flüchtete
er sich vor der unglücklichen Ehe seiner Eltern in Comic-Geschichten von
Superhelden. Mit 20 ging er zur Armee, ihm gefielen besonders ihre
Werbeslogans: "Lerne die Welt kennen" und "Leiste schon vor 9 Uhr
morgens mehr als die meisten Menschen den ganzen Tag". Die "Turner
Tagebücher" bieten gerade für solch gute amerikanische Patrioten wie
McVeigh eine Perspektive: Mit Einsatzfreude und technischer Versiertheit
können sie selbst "Caesar und Napoleon" überflügeln.  Der Autor, Pierce,
will damit sagen, daß die moralische und rassische "Degeneration" des
ursprünglichen Weißen Amerikas immer noch rückgängig zu machen ist.
Seine Vorstellung von einer weißen Vorherrschaft ist zugleich ein
paranoischer Widerhall der Hoffnungen amerikanischer Indianer im später
19.Jahrhundert, deren Erweckungsbewegung vom Verschwinden aller Weißen
und der Rückkehr der Bisonherden ausging. Diese Heilslehre breitete sich
wie ein Feuer über die trockenen Ebenen der ihnen noch verbliebenen
Territorien aus. Die indianische Euphorie drückte sich in sogenannten
Geister-Tänzen aus, die Männer und Frauen bis zur Erschöpfung
veranstalteten. Eine solche Tanz-Zeremonie - auf dem Pine Ridge, South
Dakota- war es dann auch, aus der sich 1890 die Schlacht am Wounded Knee
entwickelte, die den Endsieg der Weißen über die Indianer bedeutete. Bei
ihren Tänzen trugen die Siuox Baumwollhemden, die sie mit Symbolen der
Erweckungsbewegung bemalt und deren Ränder sie ausgefranst hatten, damit
sie ihrer traditionellen Lederkleidung ähnelte, die sie nicht mehr
besaßen.  Auch Timothy McVeigh trug ein Baumwollhemd, als ihn die
Polizei von Oklahoma bereits wenige Stunden nach dem Attentat in seinem
Auto - wegen fehlender KFZ-Kennzeichen und illegalem Waffenbesitz -
verhaftete. Bei der Vernehmung, so wunderte sich einer der Polizisten im
Nachhinein, wirkte McVeigh merkwürdig ruhig, obwohl es seine erste
Verhaftung war. Der Beamte bemerkte auch sofort das merkwürdige T-Sirt:
vorne war ein Porträt des ermordeten Abraham Lincolns und hinten ein
Baum draufgedruckt. Ihm entging jedoch der Revolutions-Spruch unter den
Graphiken: "Der Baum der Freiheit muß immer wieder mit dem Blut von
Patrioten und Tyrannen getränkt werden". Deswegen kam der Polizist, der
immerhin wie alle seine Kollegen an dem Tag bei der Fahdnung nach den
Beteiligten am Bombenüberfall eingesetzt war, auch nicht darauf, daß er
den politischen Attentäter bereits gefaßt hatte.  McVeighs politische
Ideen über die Beziehungen zwischen dem Individuum und dem Staat, die er
mit praktischen, aus den alten Pionierzeiten überkommenen
Überlebens-Techniken, verband, waren einerseits zu intellektualistisch
und andererseits zu asketisch, um vom Durchschnittsamerikaner ernst
genommen zu werden.  Randy Weaver, der Märtyrer von Ruby Ridge, der
weniger zu Einsamkeit und politischer Reflexion neigt, ist aus seinem
Idaho-Versteck in die amerikanische Zivilisation zurückgekehrt - mit
einer neuen Frau und einer Harley-Davidson in der Garage. Die meisten
Leute, die auf Waffenmessen sein Buch über seinen bewaffneten
Zusammenstoß mit der Staatsgewalt kaufen, "wollen eher mit mir reden als
ich mit ihnen", erklärte er der Washington Post. Manchmal denkt Weaver
noch an die Jahre auf Ruby Ridge zurück, wo seine dann erschossene und
zur Opferikone gewordene Ehefrau im Sommer mit den Kindern eimerweise
Blaubeeren gesammelte und für den Winter Lebensmittel eingekocht hatte.
Aber ansonsten hat er all das hinter sich gelassen, behauptet er.
Dennoch spielt Weaver gelegentlich wieder mit dem Gedanken, ein Stück
Land in den Bergen von Arkansas zu kaufen, mit einem kleinen Haus an
einem kalten Bach - "aber wer zum Teufel würde noch so leben wollen..."
sagt er zu niemandem bestimmten.


3. zwei amerikanische Terroristen
Unter der ständigen Überwachung im Gefängnis "Supermax" in Colorado,
entwickelte sich ein Freundschaft zwischen Timothy McVeigh und Theodore
Kaczynski, dem sogenannten UNA-Bomber: ein Mathematiker und
Ökoterrorist, der über 20 Jahre lang von seinem Versteck in der
Montanawildnis Briefbomben an Personen schickte, die er als
verantwortlich für die Zerstörung der Natur durch die fortschreitende
Technik erklärte. Die beiden Häftlinge lernten sich während der
täglichen Freistunde, die sie außerhalb ihrer Einzelzelle verbringen
dürfen, kennen.  McVeigh meint: "Ich bin sehr rechts, während er sehr
weit links steht, aber sonst sind wir uns ziemlich ähnlich. Alles, was
wir jemals wollten, was wir von diesem Leben wollten, war die Freiheit,
unser Leben genau so zu leben, wie es uns vorschwebte".  Kaczynski
erzählt: "Er war sicherlich kein gemeiner oder feindseliger Mensch, und
nichts deutete darauf hin, daß er solch ein Superpatriot war. Ich
vermute, er ist eigentlich ein Abenteurer, aber seit dem Ende der
Pionierzeit hat Amerika wenig Platz für Abenteurer".  Sowohl McVeigh als
auch Kaczinski, wenn man ihren Spuren folgt, die sie ins Supermax
führten, wirken weniger wie zwei Terroristen mit unterschiedlichen
Ideologien, sondern wie zwei amerikanische Trapper mit umgekehrten
Vorstellungen. Man kann sagen, daß beide eine Hochachtung für die Natur
haben und beiden eine hohe Wertschätzung von Waffen eigen ist. Doch für
den UNA-Bomber stellt die Natur die Große Ordnung dar, in der man am
Besten mit einem Jagdgewehr klar kommt. Für den Oklahoma-Bomber sind
dagegen die Waffen vor allem ein rhetorisches Werkzeug des Bürgers, sie
haben nur zufällig ihre wahre Bestimmung im Wald.   Kaczynski Weg in den
Terrorismus begann, als er sich - wie viele Intellektuelle in den
Siebzigerjahren - entschied, seine bürgerliche Existenz aufzugeben und
in den Bergen zu leben. Doch was als Interesse am Erlernen der
Techniken, die ein autonomes Leben im Wald ermöglichen, begann, wandelte
sich eines Tages, als er aus seiner Hütte in der Nähe von Lincoln
Montana, flüchtete, um den Sommertouristen zu entkommen. Er trekkte zwei
Tage, um zu seinem Lieblingsort zu gelangen: ein uralter Tafelberg, der
wie eine Festung  von Felsen und Wasserfällen geschützt war. Doch als er
ankam, hatte man dort eine Autostraße quer durchs Gebirge gebaut.
McVeigh wurde Terrorist, als er endgültig davon überzeugt war, daß die
Regierung den Bürgern das Grundrecht streitig macht, Waffen zu tragen.
Ausschlaggebend dafür waren seine Erfahrungen im Golfkrieg, wo er als
MG-Schütze auf einem Aufklärungspanzer eingesetzt war. Noch auf
Distanzen von über 1000 Meter- das entspricht ungefähr zwei
Fußballfeldern - verwandelte ein Schuß aus seiner Waffe irakische
Soldaten in eine Art roten Nebel. Die hoffnungslose Unterlegenheit der
mit "normalen Waffen" ausgerüsteten Gegner sah er dann erneut bei der
Belagerung von Waco, Texas, wo die Verteidiger in einem Feuersturm
untergingen. 

Einige Jahre vor der Amerikanischen Revolution schlug das reale Vorbild
für "Lederstrumpf", Daniel Boone, einen Trapperpfad quer durch die
Wildnis der Apalachen, der später zur Hauptstraße in den Westen wurde.
Indem Boone dies tat, wurde er zum ersten Vertreter einer neuen Klasse
von professionellen Indianer-Bekämpfern. Aber eigentlich ging es ihm
dabei um die Jagdgründe der Blue-Grass-Ebenen von Kentucky, deren
saftige Weiden Herden von Hirschen, Bisons und Elchen anlockte, so wie
sie schon in uralten Zeiten Mastodons und Mammuts angelockt hatten. In
den Augen des Trappers Boone kamen die Ebenen von Kentucky dem Paradies
gleich, die aristokratischen Jäger Europas konnten sich Derartiges nicht
einmal vorstellen: "Diese Vielfalt an Blumen und Früchten, alle in
wunderbaren Farben, wohl gestaltet und verführerisch im Geschmack.
Immerwährend wurden wir jedoch von ihnen abgelenkt, weil vor uns
unzählige Tiere auftauchten".

 Amerika wurde aufgebaut mit einer optimistischen Idee, mit der Idee der
Aufklärung: Wenn eine Mehrheit in der Gesellschaft ihre Geschicke selbst
bestimmt, wird daraus eine bessere Gesellschaft als jemals zuvor werden.
Die ideale Bürgergesellschaft ist sozusagen das komplement zu Amerikas
paradiesischer Natur.  Es kam dabei jedoch auch eine eher pessimistische
Idee zum Tragen: Demnach hatten die europäischen Zivilisationen und
Monarchien alles Gesellschaftliche derart mißgestaltet, daß es geboten
war, in der Wildnis, in einer unbekannten Natur, einen Neuanfang zu
machen - völlig unabhängig von der Zivilisation. Dies ist die dunkle,
puritanische Seite des Amerikanischen Traums, wie sie von D.H.Lawrence
in einer kleinen, meisterhaften Skizze über den amerikanischen Geist
beschrieben wurde. Was Lawrence darin als "Anti-Humanismus" begreift,
findet sich wieder in dem Wunsch von McVeigh und Kaczynski, fernab von
der optimistischen Gesellschaft der Mehrheit ihr Leben führen zu
wollen.  Bis jetzt gab es immer reichlich Raum auf dem Kontinent, um die
meisten Versionen des amerikanischen Traums auszuleben: Die Freiheiten
in Utah oder Arizona waren andere als die in Washington D.C. oder New
York. Gewährleistet wurden sie einmal durch die Größe des Raumesund zum
anderen durch die Verfassung, deren erste zehn Grundrechte dem Bürger,
zumindestens den weißen Männern, ein für Nationalstaaten ungewöhnliches
Maß an Widerstand gegen die staatliche Ordnung einräumten.

Natürlich kam es dabei immer wieder zu Einschränkungen: Zuerst verlor
der Süden gewaltsam das Recht, Sklaven zu halten. Dann verloren die Bauern
im Mittleren Westen, die sich bis dahin für das Herz der Nation gehalten
hatten, ihr Freiheitsgefühl - und fanden sich trotz ihres organisierten
Widerstands in den Fängen der Gesetze wieder, die Banken, Eisenbahnen
und Handel begünstigten. Die Angst vor dem schrumpfenden Raum und dem
Verschwinden der Rechte  oder vielmehr der Bedeutungsverlust dieser
beiden Faktoren wird von McVeigh und Kaczinsky ausgedrückt, die von sich
behaupten, daß sie eigentlich nur friedliche Bürger sein wollten und
zutiefst unpolitisch sind. Sie sprechen von der "Omnipräsenz" der Macht,
und meinen, daß die Überwachung der Bürger schlimmer geworden sei als
alle altstaatlichen Repressionen. Alles in allem ist es eine Klage über
den Verlust des Westens, über einen vor allem seelischen Verlust.
Wenn es heute ein gesellschaftliches Gegenstück zur paradiesischen Fülle
der Kentucky Blue-Grass-Ebenen gibt, dann könnten dies die
Wal-Mart-Billigkaufhäuser sein.

Ende des Teil 2
   


« Letzte Änderung: November 23, 2007, 05:53:10 pm von admin » Gespeichert
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