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« am: November 23, 2007, 12:07:46 am » |
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ANJANA SHRIVASTAVA: Der Amerikanische Individualanarchismus - 3
Diese Kette ist inzwischen der weltgrößte Privatarbeitgeber, und rangiert in Amerika gleich hinter der Bundesregierung. Dabei entwickelte der Konzern sich zum einem wahren Leibhaftigen - für Gewerkschafter und Menschenrechtsaktivisten, u.a. wegen seiner Hyper-Überwachung der Beschäftigten, für Stadtplaner und Bürgerinitiativen, weil Wal-Mart mit seinen Filialen, die mitunter die Größe von vier Fußballfeldern einehmen, das kommerzielle und gesellige Leben in ländlichen und kleinstädtischen Gebieten buchstäblich ausradiert.
Nebenbei bemerkt weigerte sich Wal-Mart, wo fast nur die unteren Schichten einkaufen, als einzige große Verkaufskette, McVeighs Biographie "American Terrorist" zu verkaufen. Für McVeigh, der sich für die Überlebenstechniken der Pioniere begeisterte, war es aber sicher weitaus bitterer, daß so vielen seiner Landsleute im wesentlichen nur dieser schäbige Konsumismus geblieben ist. Während für Kaczinski dabei eher die Vernichtung der Natur zu Schleuderpreisen das Tragische ist. Beide sind jedoch gegen die Omnipräsenz von Wal-Mart und FBI nicht im sozialistischen Sinne, sondern aus Mißtrauen gegenüber der Mehrheit. Ihre Terrorakte verstehen sie auch als "Gnadenakte" - in dem pessimistischen Bewußtsein, daß die meisten Amerikaner weder begreifen, was in ihrem Land vor sich geht, noch Widerstand dagegen leisten wollen. Deswegen ist beider amerikanisches Ziel, unabhängig zu leben, geprägt von puritanischer Misanthropie. Schon die alten Trapper in Kentucky hatten viele Feinde: schwer zu überwindende Berge, die Bären, die britische Krone, die Regierung in Washington, wilde Indianer. - Allerhand Feinde bei der Verteidigung des Paradieses.
4. Ist Timothy McVeigh ein rechter und Theodore Kaczynski ein linker Terrorist - wie das ihre jeweiligen Sympathisantenkreise nahelegen? Und lohnt sich die Unterscheidung überhaupt noch? Vor einiger Zeit fand in Graz ein Symposion über Kriminelle statt, dort war man sich bald einig, z.B. in dem rechtsradikalen Österreicher Franz Fuchs, der im Namen einer "Bajuwarischen Befreiungsarmee" Briefbomben an linksliberale Prominente verschickte, einen bösen - und in dem Berliner Kaufhauserpresser Arno Funke, dessen Rohrbomben nie einen Menschen gefährdeten, einen guten Verbrecher zu sehen. McVeigh und Kaczynski diskutierten im Gefängnis eine ähnliche Differenz zwischen ihren Taten: Der UNA-Bomber warf dabei dem Oklahoma-Bomber vor, daß er Unschuldige (Kinder) tötete, während Kaczynski gezielt die seiner Meinung nach Schuldigen (Verantwortlichen) angriff.
Der demokratische Staat fühlt sich von Links- und Rechtsradikalen gleichermaßen herausgefordert, deren Bedrohungspotential u.a. der Verfassungsschutz alle Jahre wieder einschätzt. Hier hat sich dennoch die Ansicht erhalten, daß die Linke sich auf die Organisierung des Widerstands bis zum Aufstand konzentriert, während die Rechte eher zum Staatsstreich neigt. "Die Theorie wird zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreift," so sagte es Karl Marx - und seitdem ist der unblutige Generalstreik gewissermaßen das Meisterstück für die Linke. Von Adolf Hitler stammt dagegen die Überzeugung: "Männer machen Geschichte, nicht die Massen!" In diesen unterschiedlichen Machtübernahme-Konzepten geht es auf der einen Seite um die Verschärfung der sozialen Kämpfe und auf der anderen um die Eroberung von Schlüsselpositionen, wobei dem Attentat eine unterschiedliche Bedeutung zukommt. Die Rechte neigt darüberhinaus aufgrund ihres Krieger-Ideals generell zu waffentechnischen "Lösungen", während die Linke zunächst die Überredungskunst forciert - bis hin zu den schönen Künsten. Wer den Aufstand, mindestens einen Massenprotest, nicht organisieren kann, dem bleibt nur das Attentat - als Fanal mit einem möglichst hohen Symbolwert. Daneben kann man ganz allgemein bei den heutigen Partisanen einen starken Hang zu nichtsozialistischen oder sogar antikommunistischen Ideen feststellen. Auch bei den Einzelkämpfern McVeigh und Kaczynski: Dieser, insofern er einen vorindustriellen Zustand anstrebte und jener wegen seiner Neigung zum Herrenmenschentum.
Bereits 1930 verfaßte der italienische Schriftsteller Curzius Malaparte eine "Technik" des Staatsstreichs und des Aufstands, wobei beides für ihn identisch war. Leo Trotzki hat ihn deswegen als einen "faschistischen Theoretiker - so etwas gibt es" angegriffen, der uns Märchen über die Macht erzählen will - es geht dabei um ihr "Ergreifen", das bei den Kommunisten wesentlich ein Schüren und Kanalisieren des Unmuts ist. Für Malaparte ist dagegen die Machtübernahme ein Problem planerischer Putsch- "Intelligenz". Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion avancierte er schon fast zu einem Vordenker der bürgerlichen Widerstandsforschung. So unterscheidet z.B. der Jerusalemer Kriegsforscher Martin van Creveld, dessen Schriften hierzulande von einem Versicherungskonzern verlegt werden, nicht mehr zwischen linken, kommunistischen und rechten, nationalistischen Partisanen- bzw. Guerillabewegungen. Er sieht überall nur noch "low intensity conflicts", die jedoch für die davon betroffenen Staaten gefährlicher als reguläre Kriege seien.
An dieser Malaparteschen Differenz - zwischen den Staaten und ihren Herausforderern - hakt auch der Berliner Politologe Herfried Münkler an - in einer Studie über die neuen "privatisierten Kriege". Er meint darin, daß der Bürgerkrieg nunmehr die Fortsetzung der Ökonomie mit anderen Mitteln ist. Van Creveld begreift den Krieg dagegen eher als Fortsetzung des Sports. Konkret könnte er dabei an die jüngste Verwandlung des Fanclubs von Roter Stern Belgrad in eine Tschetnik-Einheit gedacht haben. Direkt auf Malapartes Machtübernahme-"Analyse" beruft sich ein französisches Autorenkollektiv, das sich mit der "Ökonomie in Bürgerkriegen" befaßt hat, wobei Widerstandsbewegungen rund um den Globus analysiert wurden: Egal ob rechte oder linke - seit dem Ende des Kalten Krieges sind sie alle mehr oder weniger korrupt geworden und statt dem Volke zu dienen, wirtschaften sie nur noch in die eigene Tasche: Das ist der Tenor ihres gesamten Buches. Einige der Autoren arbeiten im französischen Verteidigungsministerium, andere in NGOs oder an Universitäten.
In Deutschland gibt es eine Theorie und Philosophie gebliebene Entfaltung des Partisanenkriegs - angefangen von Stein, Gneisenau, Clausewitz und Fichte, darüberhinaus jedoch vor allem eine lange Tradition der Vernichtung von Partisanen - als Verbrecher. Die Verfasser zweier berühmt gewordener Partisanen-Schriften - Ernst Jünger und Rolf Schroers - sahen ihren Widerstand nach dem verlorenen Krieg denn auch höchstens noch im "Privatpartisan" - im einsamen "Wolf" - aufgehoben, der sich u.a. gegen die Popkultur stemmt - als eine Art intellektueller Maschinenstürmer. In der westlichen Studentenbewegung orientierte man sich zunächst an existentialistischen Individualrevolten - wie die der Beatniks, dann an den siegreichen algerischen, kubanischen und vietnamesischen Partisanen-Konzepten. Einigkeit bestand außerdem darüber, daß die Linke sich stets gegen die da oben organisiert, während die Rechten eher nach unten treten. Neuerdings wird jedoch wieder der vergrübelte Einzelkämpfer favorisiert. Für Alexander Kluge ist die intellektuelle Tätigkeit schon fast automatisch Partisanentum und Paul Parin sowie Jacques Derrida sehen ihn heute in den Computer-Hackern verkörpert. Tatsächlich riefen neulich schon zwei große rotchinesische Hacker-Verbände landesweit dazu auf, den US-Imperialismus anzugreifen und in München trafen sich Vertreter aus Industrie, Politik und Militär, um Strategien gegen den "Cyberterrorismus" zu diskutieren. In Jerusalem diskutierte jetzt der selbe Kreis das selbe Problem mit israelischen Experten. Dort wird inzwischen jedoch auch schon praktisch via Internet gekämpft. Die palästinensischen Hacker-Gruppen haben in ihrem Cyberwar, "E-Jihad" genannt, bereits mehr als 80 Internet-Attentate durchgeführt, sie werden unterstützt vom "Pakistan Hackerz-Club" sowie von Hackern im Libanon, in Ägypten, Großbritanien, Brasilien und den USA. Außerdem bahnt sich ein "ideologisches Zusammenrücken von Islamisten und Neonazis" an, wobei letztere ihre "Cyber-Attentate" ebenfalls forcieren wollen. Auf der anderen Seite gelang den israelischen Hackern jedoch ebenfalls schon die eine oder andere Attacke gegen Websites der Palästinenser. Hilfe bekommen sie vom "Institute for Counter-Terrorism", das von den israelischen Geheimdiensten Mossad und Schabak geleitet wird. Und nun eben auch von offiziellen deutschen Stellen - die damit zwar ihren überwundenen Antisemitismus beweisen, aber nach wie vor ihre Tradition der Partisanen-Vernichtung unterstreichen.
Desungeachtet nehmen weltweit die Internet-unabhängigen Partisanen-Verbände zu und immer mehr Staaten geraten nicht nur von oben durch das internationale Kapital, sondern zusätzlich auch von unten infolge ihrer Bürgerkriege in die Krise. Für die o.e. französischen Kriegsökonomie-Forscher besteht das Beunruhigende vor allem darin, daß die heutigen Partisanenformationen, egal ob rechts, links, religiös oder ethnisch identifiziert, oftmals so lange kämpfen, bis alle wirtschaftlichen Mittel in ihren "befreiten Gebieten" erschöpft sind, einschließlich der humanitären Hilfslieferungen. Und daß sie sich - nicht zuletzt über ihre Sympathisanten im Ausland - "in der Diaspora`` - zu multinationalen Banden-Geflechten, wenn nicht gar Konzernen, entwickeln - seitdem die Unterstützung ihrer Kämpfe aus dem Osten oder aus dem Westen weggefallen ist.
Zur Begründung ihrer Staatsgefährdung führt Martin van Creveld eine weitere Unterscheidung an: Auf der einen Seite die Irregulären, die wirklich kämpfen wollen - bis zum Tod, und auf der anderen Seite die regulären Soldaten, die zunehmend weniger motiviert sind: "Entweder ist man stark oder man hat das Recht, beides geht nicht," meint er. Diese Unterscheidung kann man noch einmal bei den Befreiungsbewegungen selbst treffen. Der Frankfurter Widerstandsforscher Hans Grünberger sagt deswegen "Der Partisan ist eine Kippfigur": Scheitert der Aufstand - wird er zum Kriminellen, gelingt der Aufstand wird er Offizier oder Staatsbeamter. Die Partisanen sind also nicht nur beweglich im Raum, sondern auch flüchtig in der Zeit. Die Psychologie attestiert ihnen gerne mangelnde Reife - bis hin zu Neurosen und Psychosen, während die Politikforschung ihren Hang zu Fanatismus und Despotismus herausstreicht. Der Psychoanalytiker Paul Parin entdeckte 1945 in Jugoslawien sogar eine regelrechte "Partisanenkrankheit". Sie besteht kurz gesagt darin, nicht mehr mit dem Kämpfen aufhören zu können. Und ist somit das genaue Gegenteil von einer "Kriegsneurose", mit der Soldaten sich vor weiteren Fronteinsätzen schützen.
"Es ist eine schwierige Klientel," so charakterisierte gerade ein kolumbianischer Rechtsanwalt die Partisanen. Die deutsche Terroristin Inge Viett äußerte sich in ihrer Biographie ganz ähnlich - über einige ihrer ehemaligen männlichen Mitkämpfer. In einer Diskussion bestritt sie neulich jedoch, daß es so etwas wie rechte Partisanen überhaupt geben könne: Weil das Partisanentum die Form einer Volkserhebung ist - während die Rechte diese genau (technisch) verhindern will. Exakt andersherum argumentieren dagegen der Widerstandsforscher und Mitbegründer der Künstlersozialkasse Rolf Schroers sowie der faschistische Staatstheoretiker Carl Schmitt: Für sie kämpfen Partisanen immer und überall für die Wiederherstellung eines alten Rechts- und Autonomie-Raumes, wohingegen alle die, die für etwas noch nie Dagewesenes Partei ergreifen, bloß Revolutionäre sind. So gesehen wären die beiden US-Terroristen wenn schon nicht die letzten so doch echte Partisanen. Für uns deuten sie damit eher, auch ohne es zu wollen, auf echten sozialen Sprengstoff hin, d.h. auf einen fortschreitenden Zerfall von Gesellschaft.
mit freundlicher Genehmigung der Autoren der Text ist erschienen in: "wpp - wölfe partisanen prostituierte" (Kulturverlag Kadmos, Berlin 2007)
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