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« am: Juni 09, 2008, 12:31:27 pm » |
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DOKVILLE 2008: Dokumentarfilm 2.0. - Im Netz gefangen oder völlig neue Möglichkeiten?
TEIL 2
Und ich habe eines gelernt: ich muß alles Geld aus dem Verkauf von Nutzungsrechten eingenommen haben, bevor eine Kopie des Films veröffentlicht wird. Ist das Material einmal im Netz, sind diese Einnahme- und Refinanzierungsquellen dahin.
Die Struktur und spezifischen (technischen) Anforderungen des Web und dessen Formatierungsvorschriften für Erzählweise, Dramaturgie und Ästhetik kreuzen sich allerdings mit meinen Vorstellungen, das paßt nicht zusammen. Muß es das? Oder muß ich mich, irgendwann, unterordnen? Meine Vorstellungen von Ästhetik, Dramaturgie und Inhalten des Dokumentarfilms diesen Vorgaben angleichen? Und bin dann „gefangen im Netz“, wie es im Titel der Veranstaltung so schön heißt – übrigens ein Zitat aus dem Essay des Philosophen Helmut Kohlenberger, der auf der Webseite zum Film nachzulesen ist.
Ist der mit Camcorder und ohne Team produzierte Dokumentarfilm wirklich die Alternative zur Abhängigkeit von Fördertöpfen und den Vorgaben der Sender (ohne die nichts mehr geht) – und hat der dann im Netz die gleiche Wirkung wie, und hier bitte sowohl die Qualität der Projektion wie das gemeinschaftliche Erlebnis einer Gruppe von Menschen bedenken - wie ein Film mit einer 35mm-Kopie in guter Projektion und mit guter Tonanlage im Kino? Wir haben uns an das Blow Up von MiniDV auf 35mm inzwischen gewöhnt, aber eine Vorführung von „Congo River“ mit einer 35mm-Kopie gezogen vom originalen 35mm-Negativ im Kino...? Film lebt vom SEHEN. Was sehen die User in ihren Fensterchen auf dem Laptop? Was kann ein Ausschnitt des genannten Films im Netz mehr sein als Werbung für eine Kinovorführung?
Ich bin beim Filmemachen für ein SOWOHL ALS AUCH. Beim freien Spiel der Kräfte, bei Wahlmöglichkeiten, Freiwilligkeit und Pluralismus wäre das nicht nötig zu diskutieren. Angesichts der Entwicklung und ihrer Dynamik scheint es notwendig, Begriffe wie „Diktatur“ zu verwenden, und sich dagegen zu verwahren.
Wenn nach neuen Möglichkeiten durch das WEB 2.0. für den Dokumentarfilm gefragt wird, muß auch die Frage erlaubt sein:
Was ist (heute) das Web?
Paul Garrin, New Yorker Medienpionier und Schüler von Künstlern wie Martha Rosler und Hans Haacke an der Cooper Union in New York und viele Jahre Assistent von Nam June Paik, antwortete mir dazu im Interview 2002 Folgendes:
„Es gibt drei Mythen über das Internet, dazu gehört, dass das Internet öffentlich ist, dass es keine Grenzen hat und dass es keinen Mittelpunkt besitzt. Alle drei sind falsch. Das Internet ist nicht öffentlich, denn es ist eine in Privatbesitz befindliche technische Infrastruktur. Das Internet ist nicht grenzenlos. Tatsächlich sind Grenzen in das Protokoll eingebaut; jeder Schalter, jeder Router, wo sich ein Netzwerk mit einem anderen verbindet, ist eine Grenze. Und die Fire Walls sind die Zollpolizei, die entscheidet, welche Pakete durchgelassen werden und welche nicht. Es ist also ein sehr selektiver und kontrollierter Prozess mit zunehmend dichter gespannten Filtern, Barrieren und Mautstationen. Der dritte Mythos ist, dass es kein Zentrum gibt. Das Zentrum, zumindest wie es heute betrieben wird, ist die Root Domain, alles folgt den ursprünglichen Motiven die zur Schaffung dieser Netze führten und das war die Idee einer zentralisierten Herrschaft nach den bekannten militärisches Mustern.“
Heute kann man unwidersprochen behaupten, dass: - das Web kein Ort hierarchiefreier Kommunikation ist, sondern zunehmend eine Zwangsveranstaltung - das Versprechen einer demokratischen „globalen Gemeinschaft“ durch weltweite Computernetzwerke nicht eingelöst wurde, und statt dessen eine fortgesetzte und immer stärkere Fragmentierung der Gesellschaft und Vereinzelung von Individuen der Fall ist - das Web zunehmend durch Gewinnmaximierung statt Gleichheit dominiert wird - das künstlerische Ideen und Inhalte, außerhalb von „Kunstlaboren“ in den Einflussbereich ganz neuer Interessen und Wirkungsfaktoren geraten, die zum Abweichen, Aufweichen und ins Gegenteil verkehren der ursprünglichen Annahmen und Visionen führen. Gerade die mit dem „Web.2.0“ assozierten und meistgenutzten Kanäle wie blogger.com, myspace.com, youtube.com oder flickr.com sind kommerzielle Räume, die sich nur den Anschein von Öffentlichkeit geben - dass die elektronischen Welten des Web Ersatz für die verarmenden menschlichen Beziehungen sind, von denen Kinder und Familien betroffen sind, die sich nicht zu wehren wissen. Unter anderem auch deswegen, weil kein familiärer Unterbau und ein NEIN mehr existiert, das dieser Unterbau wirkungsvoll machen könnte. An die Stelle versagenden Familienstrukturen tritt ein Ersatznetzwerk von Sozialarbeitern, Theaterleuten, Medienpädagogen usw. (Es ist vielleicht nicht ganz fair, dem hingebungsvollen Kampf von Adorno, Horkheimer, Mead und anderen Macies gegen den autoritären Charakter, die Familie und vor allem die Autorität des Vaters als Brustätte des Bösen die Schuld dafür zu geben, dass dieser familiäre Unterbau immer poröser wird - aber eine Bezug ist zumindest zu vermerken.)
Das Web ist also in kurzer Zeit vom Hoffnungsträger zum Problem geworden Was könnten die „völlig neuen Möglichkeiten“ sein, die dieser Problemfall offeriert?
Die Position des Filmemachers ist angesichts der technologischen Entwicklung zwangsläufig zwiespältig und shizophren: indem er alle diese Möglichkeiten zu nutzen versucht in der Hoffnung, so die Nische für seine Filme zu behaupten oder sogar zu vergrößern, arbeitet er gleichzeitig (wissentlich oder unwissentlich) an seiner Selbstabschaffung und Selbstauslöschung. Denn diese digitalen Möglichkeiten verändern ja auch das Filmemachen selbst, diktieren zunehmend künstlerische, ästhetische und produktionstechnische Parameter, und dynamisieren den Prozess der Aushöhlung von Begriffen wie Dokument, Wahrhaftigkeit und Wirklichkeit, die, zwar seit Beginn des Genres umstritten, immer noch den Kern und die Idendität des Dokumentarfilms bilden.
Moralinsaure Kulturkritik á la „früher war alles besser“ liegt mir fern, aber: Die Euphorie über einen Dokumentarfilm-Boom oder gar goldene Zeiten kann ich aus meiner Perspektive nicht teilen. Die Bedingungen haben sich verschlechtert: weniger Möglichkeiten zur Herstellung und zum Vertrieb der Filme, Wegfall von Sendeplätzen, Quoten- und Profilierungsdruck bei den Sendern mit dem Ergebnis dass Vieles was nicht in die neuen Info- und Dokutainmentprofile paßt in die Nacht oder ins Nichts gedrückt wird, gekoppelt mit einer Verschärfung der Zugangsbedingungen bei den Filmförderungen, sowie dem Sterben kleiner Verleihe. Viele Dokumentarfilme sind ohne nennenswerte Besucherzahlen im Kino, die 17:00- und 19:00-Schiene der paar in Frage kommenden Kinos ist hart umkämpft. Der Druck „marktgerechtere Filme“ anzubieten, die in dessen Szenario hineinpassen ist groß: Filme die den neuen Seh- und Hörweisen angepasst sind.
Digitalisierung, das heisst (auch): Simulation, Fake, Fälschung.
Es war noch nie so einfach wie im digitalen Zeitalter, Bilder zu manipulieren. Warum also mehrere Jahre recherchieren, anstrengende und teure Reisen unternehmen, wenn ein misstrauisches und verunsichertes Publikum die Aufnahmen ohnehin als manipuliert anzweifelt? Warum nicht gleich selbst mit dem Rechner „at home“ modellieren, gestalten, aus Bausteinen der Wahrnehmung von Wirklichkeit etwas Quotentaugliches basteln, das den durch die Maschinensysteme veränderten Wahrnehmungsmöglichkeiten angepasst ist? Warum also nicht Dokumentarfilme nach Baukastensystemen wie Computerspiele zusammenbauen? Mit Cliffhanger und allen Schikanen der Soaps? Warum nicht in 3D gerechnete Dokumentarfilm-Simulationen herstellen? Nach Markt- und Zuschauerbedürfnissen gerechnete und künstlich erzeugte Dokumentarfilme - ohne störende Längen oder durch Protagonisten erzeugte sprachliche Umständlichkeiten, ohne zu verwickelte, komplizierte und nicht oder schwer darstellbare Problematiken und unattraktive - weil international nicht verständliche und verwertbare Inhalte und Sujets? Was dafür als rauhe Oberfläche oder Fehler nötig ist, die Glaubwürdigkeit und Authentizität suggerieren, wird nach genau vorher erforschten und berechneten Anforderungsprofilen am Computer hergestellt. 3-D-Schlamm und Screen-Schrott, künstliche Wackler, Unvorhergesehenes oder inhaltliche Probleme werden plotgenau gerechnet und in die Handlungen und Abläufe wie „zufällig“ wirkend eingestreut.
Was bedeutet dokumentarisch arbeiten angesichts einer Wirklichkeit, die schon selbst Maskerade oder Inszenierung ist?
Wie einen Widerstand dokumentieren, der vorsätzlich von seinem Inhalt befreit und auf Posen reduziert ist? Wie einen Protest abbilden, der durch einen „Protestdienstleister“ der Demonstranten vermietet oder Gewerkschaften die sich durch Werbeagenturen beraten lassen inszeniert wird, um die entsprechenden Forderungen fernsehgerecht präsentieren zu können, abgestimmt auf die Formatvorgaben der Sender? Wie z.B. die Revolutionen in Osteuropa und auf dem Balkan dokumentieren, die mit ihren schönen Namenskürzeln wie OTPOR/Serbien – ZUBR!/Weißrußland – MJAFT!/Albanien – KMARA/Georgien – oder PORA!/Ukraine allesamt klingen, als seien sie von der gleichen Werbeagentur entworfen worden (was ja höchstwahrscheinlich auch der Fall war). Das Neue an dieser Art von Außenpolitik der USA mit Hilfe der EU und halbstaatlichen und privaten Stiftungen wie der Soros-Foundation waren die neuen Medien: das Weltnetz, Chat Rooms, Instant Messaging und Blogs, SMS und „ausschwärmende Jugendgruppen“ im Stile der Situationisten (der arme Guy Debord), verpackt in einer einheitlichen und modischen Corporate Idendity und Styling (die Orangene Revolution). Diese sogenannten „Revolutionen“ wären zudem ohne den massiven Einsatz von gefakten Nachrichten und Meinungsumfragen, die über das Fernsehen und die neuen Medien verbreitet wurden, nicht möglich gewesen.
Im Mittelpunkt der Entwicklung, so wie ich sie sehe, steht nicht mehr das Subjekt und seine natürlichen Grenzen – Talent, Kraft, Intelligenz – sondern die chemischen, technologischen, biogenetischen Ersatzstoffe die diese natürlichen Grenzen erweitern und das Subjekt „entgrenzen“ sollen. Im Sport geschieht das mit Hilfe von Anabolika und Stereoiden, bei Film und Fernsehen mit Hilfe der digitalen Möglichkeiten. Der Sport hat das Problem erkannt. Was im Sport versucht wird, und sei es zunächst nur in der Rhetorik, sollte auch in den Medien und der Kunst möglich sein.
An den Schluß möchte ich etwas Versöhnliches und Heiteres stellen. Einer der Macher von rebell.tv gestand mir vor kurzem, dass er inzwischen „von Schnitten“ träumt. Das heißt, wie er seinen „anti-hierarchischen“ und „anti-totalitären“ Zettelkasten strukturieren und verdichten könnte. Wie es scheint, kehren da die alten Sachen und überlieferten Urmuster zurück. Es ist der geheime Wunsch nach Eindeutigkeit, nach einer Form, nach Gestalt, der die konstruktivistischen Erziehungsmuster unterminiert und gefährdet. Das erinnert auch daran, daß die Entwicklung, wie ich Sie versucht habe zu skizzieren, nicht gesetzmäßig, unaufhörlich, oder gar zwangsläufiges Fatum ist – sondern von uns beschleunigt, verlangsamt oder sogar gestoppt werden kann.
Als ich einen der Väter des ARPA-Nets danach fragte, wie denn so ein Netzwerk, der Vorläufer des heutigen Web 2.0. einfach so verschwinden konnte, sah er mich erstaunt an und sagte: „Wieso? Das waren doch nur ein paar alte Kästen, Stecker, und Leitungskabel. Das wurde halt auseinandergeschraubt, die Kabel aus der Erde gerissen, versteigert und der Rest als Sondermüll weggeworfen. Und dann war es halt weg.“
Seit einiger Zeit häufen sich die Anfragen verschiedener Verleihe, meinen Film zum Download oder Streaming freizugeben. Was tun? Fundamentalverweigerung? Mitspielen? Auf jeden Fall teilnehmend den Verlauf des elektronischen Gewitters beobachten, das über mich nicht nur als Filmemacher hinwegzieht. Wer mag, kann auch auf das Eintreffen der Voraussage Baudrillards warten, nach der das System implodieren wird. Ansonsten empfehlen sich die in einer Diktatur (hier: der digitalen) üblichen und normalen Verhaltenstechniken. Und das Warten auf den Verdruß und die Ermüdung des Publikums an den glatten digitalen Oberflächen und den genormten und konstruierten Wirklichkeiten, die via Netz versendet werden. Warten also auf eine neue Lust an Gesichern, Geschichten und Reflexionen der Wirklichkeit, die die Substanz des Dokumentarfilms seit jeher ausmachten. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Lutz Dammbeck, Ludwigsburg, 6.Juni 2008
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