Schlomo
Gast
|
|
« am: April 28, 2010, 05:52:47 pm » |
|
Sehr geehrter Herr Dammbeck,
vielen Dank für die hervorragende Arbeit, die Sie mit The Net geleistet haben. Ich bin nur durch Zufall auf Ihren Film gestossen und bin daher umso mehr erfreut, ihn gefunden zu haben. Laut IMDB ist der Film bereits 2003 entstanden, also schon sieben Jahre alt. Was mich diesbezüglich erstaunt, ist, wie wenig Resonanz der Film erfahren hat seitdem. Dieses Forum ließt sich wie ein einsames Tagebuch. Es scheint, das entweder der Inhalt des Filmes seine Zuschauer überfordert und er deswegen unpopulär ist, oder aber er bestätigt damit indirekt die Thesen, die in dem Film aufgestellt werden.
Die Geschichte, die Sie erzählen, rüttelt am weltweiten Selbstverständnis, die Dinge "seien schlicht so". Er stellt die gesamte, alltägliche Gegenwart sowie die wissenschaftlichen, philosophischen und technologischen Fortschritte der letzten 300 Jahre in Frage und nimmt in seinem Duktus eine nachdenklich, aufklärerische aber auch ganz klar revolutionäre Haltung ein. Es ist eben kein Portrait eines schizophrenen Killers, sondern eine brillante historisch-/gesellschaftliche Analyse.
Seit kurzem beschäftige ich mich intensiver mit Kybernetik, Systemtheorie und radikalem Konstruktivismus. Hintergrund ist, ich habe jahrelang nach einem Denkansatz gesucht, der erklärt, warum trotz des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik, es dennoch Ordung geben kann. Einfacher: Als ich noch ein ein Schüler war, sagte mein Physiklehrer: "Wenn Sie eine Handgranate in eine Blockhütte werfen, ist da hinterher ein Bretterhaufen. Wenn Sie aber eine Handgranate in einen Bretterhaufen werfen, dann ist dort hinterher keine Blockhütte. Das ist Entropie. Das ist ein grundlegendes, physikalisches Gesetzt, dem das gesamte Universum unterworfen ist." Ich habe mich danach jahrelang gefragt, wie es dann sein kann, dass es etwas wie die Blockhütte überhaupt gibt? - Wenn alles zu einem energetisch ausgeglichenen Zustand strebt, warum ist dann das komplette Universum bestens geordnet? Warum gibt es keine physikalische Kraft, die Ordnung oder Leben bescheibt?
Als ich auf dem Weg nach dieser Frage auf den Begriff der Emergenz stieß, war das wie eine kleine Erleuchtung. Von da an war es nur noch ein kurzer Weg zu Gordon Spencer Brown, Heinz von Foerster und Humberto Maturana. Die gesamte Beschäftigung mit diesem Thema und seines Interdisziplinären Ansatzes - Kybernetik - hat mein Denken extrem beflügelt und ich halte diese Entwicklung für einen Quantensprung der Geisteswissenschaften. Ich habe einen ehrfürchtigen Respekt vor Mensche wie z.B. Heinz von Foerster, der mir als begnadeter Denker und durch Ihren Film ebenfalls als sehr sympathischer Mensch erschienen ist.
Gleichzeitig hat mich schon immer das Thema Drogen interessiert, und aus der (akademischen) Beschäftigung mit LSD stieß ich ebenfalls auf den ganzen Komplex OSS, Operation Paperclip, Artichoke, MKULTRA / CIA, aus der sich ergab, dass die bewußtseinserweiternde Komponente der Hippie-Bewegung - die Drogen - im Gegensatz zu ihrer politischen antikriegs Komponente, zu einem Großteil von der CIA durch Personen wie Leary, Kasey und vieler anderer elitärer kultureller und Intellektueller Wegbereiter aus Kunst, Musik und den Gesisteswissenschaften in die Gesellschaft geschleust wurde. Wenn man sieht, wie Kasey mit seinem Trip-Bus durch Kalifornien fährt, offenbar ohne größere polizeiliche Repressalien, und großen Mengen von Menschen LSD verabreicht, dann muss man sich fragen, an welcher Stelle gezielt weggeschaut wurde, und gleichzeitig höchst interessiert zugesehen wurde. Plötzlich erscheinen die revolutionären Bewegungen der Sechziger wie ein gigantisches, von der US-Regierung initiiertes Massenexperiment.
Ihr Film nun schließt den Kreis mit dem Hinweis auf die militärischen Wurzeln der Kybernetik (Wiener), die Macy-Konferenzen, und letztlich ihre historische Bedeutung für den gesamten technologischen Welt- und Medienkontext, in dem wir uns heute befinden. Es scheint, dass die Utopie von einer kybernetischen Gesellschaft, die vor 65 Jahren erdacht wurde zu einem Großteil erfolgreich umgesetzt worden ist - zumindest in der westlichen Hemisphäre und seit dem Fall des Ostblocks und der kapitalistischen Wende in China sich auch weiterhin weltweit durchzusetzen scheint.
Das ganze mutet wie eine gigantische Verschwörungstheorie an. Eine wissenschaftliche Avantgarde initiiert einen utopischen und revolutionären Paradigmenwechsel, der sich letztlich als totalitär und menschenfeindlich erweist. Eine Revolution, die für die Gesellschaft unsichtbar und nicht wahrnehmbar ist.
Die Forschungen zur Gedanken-Kontrolle sind alle im letzten Jahrhundert geleistet worden, und die theoretischen aber vor allem praktischen Erkenntnisse daraus sind unmerklich in die modernen Kommunikationstechnologien von Werbeagenturen, Politikerrethorik, Marktforschung und die Medien geflossen, und sind heute allgemein anerkannte Kommunikationstechniken, die man in Seminaren, an der Universität und aus Büchern erlernen kann.
Es geht in diesen Technologien darum, wie man Menschen manipulieren kann, ohne dass sie es merken. Man braucht dazu niemandem Elektroden einzupflanzen. Die Technik besteht einzig und allein aus Kommunikation. Eine Technik ist etwa, einen Sachverhalt so lange zu wiederholen, bis er sich als "wahrgenommen" in den Köpfen des Kollektivs verankert. Eine weitere Technik ist es, Sachverhalte öffentlich als abwegig zu ächten - wie zum Beispiel das Manifest. In diesem Moment wird Kaczynski in eine Ecke mit schizophrenen Verschwörungstheoretikern gerückt. UFO-Gläubige. Chemtrails. HAARP - und die ganzen Spinner, die da unterwegs sind. Im Falle von Kaczynski nicht nur verrückt sondern darüber hinaus sogar Mörder. Das verhindert, dass Kaczynski und seine kritische Sicht in eine Debatte miteinbezogen wird.
Der Effekt davon ist, dass die historischen Fakten selbst in den Bereich der Phantasie und paranoiden Wahnvorstellungen (der Poesie - wer erzählt die beste Schöpfungsgeschichte? (Foerster)) gerückt werden, was eine sachliche Nachfrage nach wirklich geschehenen Dingen und die Recherche - und vor allen Dingen die Präsentation der Rechercheergebisse extrem erschwert und behindert. Das scheint sich auch durch Ihren Film und seinen Erfolg zu bestätigen. Ein Schleier falscher Fährten wird gesponnen. Ein Meer von Fiktion, in dem man die Wahrheit nicht entdecken kann, weil sie selbst inhaltlich wie eine dieser Fiktionen erscheint. Eine weitere Technik scheint zu sein, schlicht die Existenz von alledem zu leugnen oder zu ignorieren, obwohl es sich um echte, historische Tatsachen handelt.
Für mich persönlich ist es nicht unproblematisch, damit umzugehen. Ich kann nicht sagen, dass ich mich persönlich verfolgt fühle, aber mein Blick auf die Welt ist verändert, und ich muss jemandem wie Kaczynski und seine Sicht der Dinge anrkennen und ernst nehmen.
Ich habe gelesen, das Kaczynski Sicht im Prinzip genau wie jene der Technokraten ebenfalls eine totalitäre Utopie darstellen würde. Eine Welt, wie diese, abzüglich der Technologien. Auf der andren Seite steht die Frage, enstspricht die technologisch/kybernetische Welt nicht doch dem Menschen und seiner Natur? Ist sie nicht die logische Konsequenz aus der Evolution und unsere kollektive Bestimmung? Ist Autonomie schlicht eine aussterbende Variable und für den Menschen und seine Entwicklung hin zum Node innerhalb eines gigantischen, einheitlichen Netzwerkes (in dem alles richtig ist, weil sich alles herleiten lässt (Foerster)) einfach "veraltet"?
Die ethischen Fragen, die das alles aufwirft, sind sehr grundsätzlich. Ich lese Maturana und seine "Biologie der Liebe" und die daraus folgende Ethik hat für mich einen hohen Erkenntniswert. Auf der anderen Seite ist auch Maturana Kybernetiker. Was also ist die Utopie, die dem Menschen gerecht wird?
Herzliche Grüße
Jens C. Möller
|